Europas geheime Färbeformel

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Aug 28, 2023

Europas geheime Färbeformel

Ganz in Blau gekleidet – blaue Jeans, blaue Weste, ein indigoblau-weiß gemustertes Hemd und eine blaue Schürze – öffnete Josef Koó die Türen zu seiner Werkstatt Original Blaudruck Koó in Österreich

Ganz in Blau gekleidet – blaue Jeans, blaue Weste, ein indigoblau-weiß gemustertes Hemd und eine blaue Schürze – öffnete Josef Koó die Türen zu seiner Werkstatt Original Blaudruck Koó im östlichsten Burgenland Österreichs, einer bekanntermaßen dünn besiedelten Region für seine weiten Himmels- und Seenlandschaften entlang der ungarischen Grenze.

Als Handwerker in dritter Generation betreiben Koó und seine Frau Miriam eine der beiden verbliebenen Indigo-Blaudruckwerkstätten Österreichs. Diese seltene, jahrhundertealte Praxis, die einst alltäglich war, ist fast verschwunden, erlebt aber jetzt ein Wiederaufleben.

In Österreich und Deutschland Blaudruck („Blaupause“ oder „Blaufärbung“) genannt (und in Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik Kékfestés, Modrotlač und Modrotisk, wo es auch praktiziert wird), bezieht sich der Name auf das Druckverfahren Tragen Sie eine farbbeständige Paste namens Papp auf ein Tuch auf, bevor Sie es mit Indigo überfärben. „Indigo ist der häufigste und stärkste natürliche Farbstoff, der seit Tausenden von Jahren auf der ganzen Welt verwendet wird“, sagte Lisa Niedermayr, eine österreichische Textilkünstlerin, die 2019 die Unesco-Ausstellung „Walking The Indigo Walk“ in Paris kuratierte.

Josef und Miriam Koó leiten eine von nur noch zwei verbliebenen Indigo-Blaupausen-Workshops in Österreich (Quelle: Yulia Denisyuk)

Seit mindestens 6.000 Jahren färben Menschen Textilien mit Indigo. In Deutschland und Österreich entwickelte sich das Indigofärben zu einer eigenständigen Tradition, die Sprache, Kleidung und Kultur geprägt hat.

Die europäische Praxis, Textilien mit Blau zu färben, reicht bis in die Bronzezeit zurück, als im heutigen Österreich Waid, eine lokal angebaute Pflanze, zum Färben von Kleidung verwendet wurde. Traditionell war Blau eine Arbeiterfarbe. Doch wie die österreichische Künstlerin und Forscherin Moira Zoitl in ihrem Buch „Laut Blaupause“ erklärt, erlebte der Blaudruck im 17. Jahrhundert einen Aufschwung, als die Niederländische Ostindien-Kompanie begann, Indigopulver aus Indien zu importieren. Die Indigofärbung erfolgte in kaltem Wasser, wodurch die Farbstoff-Resistenzpaste intakt blieb. Dadurch erzeugte es eine tiefere und haltbarere Farbe als Färberwaid.

Diese wunderschön gemusterten Textilien verbreiteten sich bald in ganz Mitteleuropa und wurden Teil traditioneller Trachten. Laut Alfred Atteneder, Direktor des Färbermuseums im österreichischen Gutau, findet man hier besonders viele Blaudruckkostüme, da Trachten in Österreich und Deutschland häufig getragen wurden.

Als Handwerker reisten, um diese neue Blaudruck-Blockdrucktechnik zu erlernen und Designs und Muster auszutauschen, bildete sich eine Gemeinschaft von Praktikern. Ein Großteil des heute praktizierten Blaudruck-Wissens stammt aus den ursprünglichen Familientagebüchern, die diese Reisen dokumentieren. Für Koó bedeutet dies, mit Modeschulen und jungen Designern zusammenzuarbeiten, um das Handwerk wiederzubeleben.

Als sich die Blaudruck-Drucktechnik in Mitteleuropa verbreitete, wurde sie Teil traditioneller Kostüme (Quelle: Yulia Denisyuk)

Im hügeligen oberösterreichischen Mühlviertel ist die familiengeführte Blaudruckerei Wagner seit 1878 in Betrieb. Die Blaudruck-Handwerker Maria und Karl Wagner in vierter Generation erklärten, dass der aufwendige Prozess der Herstellung indigogefärbter Textilien vom Anfang bis zum Ende Wochen dauert. Sie tragen das Muster zunächst mit Hilfe der mintfarbenen, farbbeständigen Papp-Paste auf den Stoff auf, der später mit Indigo überfärbt wird. Anschließend färben sie den Stoff und die farbbeständigen Teile bleiben weiß und zeigen lokal inspirierte florale oder geometrische Muster – Streifen waren traditionell im Burgenland üblich, regionale Kornblumen und Hopfen im Mühlviertel.

Ich sah zu, wie Marias Sohn Sebastian Papp mithilfe eines jahrhundertealten handgefertigten Holzblocks namens Modeln auf ein Leinentuch auftrug und feine Messingstifte in den Block in Form eines gewünschten Musters einhämmerte. Nur wenige Menschen in Europa wissen noch, wie man diese Blöcke herstellt.

Das genaue Rezept für Papp war schon immer ein streng gehütetes Geheimnis, das mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Jede Blaudruck-Werkstatt verwendet ihre eigene Mischung an Zutaten, aber die beiden, die jeder gerne preisgibt, sind Gummi arabicum und Ton. Nachdem die Muster auf den Stoff übertragen wurden, muss dieser mindestens vier Wochen an der Luft trocknen, damit die Paste einziehen und aushärten kann. Dann ist es Zeit zum Färben.

Sebastian spannte das Leinen auf einen speziellen Rahmen namens Stern und tauchte es in einen riesigen Bottich, der mit kaltem Wasser, Indigo und Limette gefüllt war. „Es ist eine Wissenschaft, aber auch eine Kunst“, sagte er und tauchte die Wäsche mehrmals in den Bottich. „Jedes Leinen reagiert auf den Oxidationsprozess, bei dem die Farben eine andere Form annehmen. Es gibt Instrumente, mit denen man messen kann, wie stark der Farbstoff ist, aber unsere Eltern können das durch Riechen oder Berühren mit den Fingern messen.“ Abschließend wird das gefärbte Leinen in heißem Wasser gewaschen, um die farbbeständige Paste zu entfernen, wodurch auf dem Indigoblau ein auffälliges farbstofffreies Muster zum Vorschein kommt.

Handwerker tragen das Muster zunächst mit Hilfe der mintfarbenen, farbbeständigen Paste auf den Stoff auf (Quelle: Yulia Denisyuk)

Aufgrund ihrer Haltbarkeit erfreuten sich mit Blaudruck hergestellte Kleidungsstücke großer Beliebtheit und das Handwerk verbreitete sich wie ein Lauffeuer in ganz Deutschland und Österreich (allein im Mühlviertel gab es 1832 nach Angaben der Wagners 17 Werkstätten). Die Muster haben sich nie abgefärbt. Sie waren auch praktisch: Schürzen mit beidseitigem Aufdruck (eine Technik namens Doppeldrucke) waren vielseitig einsetzbar, wobei eine Seite in der Küche und die andere auf dem Feld verwendet werden konnte, wodurch der Bedarf an Wäsche reduziert wurde. Dies machte Blaudruck zu einer einfachen Wahl für traditionelle Dirndlkleider.

„Ich bin mit Blaudruck-Dirndln aufgewachsen“, sagte Zoitl. „Der Blaudruck ist in diesem Bereich ein wesentliches identitätsstiftendes Verfahren.“

Der Blaudruck war so weit verbreitet, dass er mehrere deutsche Redewendungen beeinflusste. Ein Beispiel dafür ist der gebräuchliche Satz „Du wirst Dein blaues Wunder erleben“. Laut Atteneder entstand dieser Ausdruck in Bezug auf den Prozess der Oxidation. Wenn die zunächst weißen Textilien aus dem Indigo-Bottich kommen, verfärben sie sich gelb, dann grün und schließlich blau. Das ist das Wunder von Indigo: Es braucht Sauerstoff, um blau zu werden und sich mit dem Stoff zu verbinden. Noch heute verwenden Deutsche und Österreicher dieses Sprichwort, wenn sie wissen lassen möchten, dass sie von etwas überrascht werden.

„Blaumachen“ und „blauer Montag“ sind zwei weitere auf Blaudruck zurückgehende Beispiele, die häufig verwendet werden, wenn jemand die Arbeit überspringen möchte. Traditionell war der Montag dem Färben vorbehalten. Da Textilien mehrmals in Indigo-Bottiche getaucht und zwischen den einzelnen Tauchgängen trocknen gelassen werden mussten, hatten die Kunsthandwerker montags freie Stunden und entspannten sich manchmal in einer Kneipe. Als die Dorfbewohner fragten, warum die Handwerker nicht arbeiteten, antworteten sie: „Ich mache heute Blau. Es ist ein blauer Montag.“

Nur noch wenige Menschen in Europa wissen, wie man die hölzernen Modeln-Blöcke herstellt, aus denen Blaudruck hergestellt wird (Quelle: Yulia Denisyuk)

Atteneder erwähnte einen anderen Ausdruck im Volksmund: „Jemanden in die Mangel nehmen“, was bedeutet, jemanden zu belästigen oder unter Druck zu setzen, etwas zu tun, was man will. Es bezieht sich auf einen der letzten Schritte im Blaudruck-Verfahren, bei dem der getrocknete Stoff durch eine 12 Tonnen schwere Granitmangel geführt wird, um den fertigen Stoff zu glätten.

Aufgrund seines intensiven Handarbeitsprozesses ist Blaudruck der Industrialisierung entgangen. In den 1980er Jahren war es aufgrund der massenproduzierten Textilalternativen fast vom Aussterben bedroht. Aber in den letzten Jahrzehnten hat eine kleine Gemeinschaft indigobesessener Kunsthandwerker in ganz Mitteleuropa dieses einst übliche Tuch wiederbelebt.

Im Jahr 2018 wurde Blaudruck in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der Unesco aufgenommen. Reisende werden es in Mühlviertler Gasthäusern wie Zum Edi und Färberwirt an Wänden, Kissenbezügen und Tischdecken sehen. Das Hotel Guglwald an der österreichischen Grenze zur Tschechischen Republik verfügt über eine ganze Suite, die dem Blaudruck gewidmet ist. Der deutsche Dillians-Store führt ausschließlich Blaudruck-Produkte, darunter Geldbörsen, Geldbörsen und Rucksäcke. Das Handwerk ist auch in Ausstellungen in Museen in ganz Deutschland und Österreich ausgestellt (das Heimatmuseum in Scheeßel, Deutschland, bietet sogar eine virtuelle Blaudruck-Audiotour an).

Am ersten Sonntag im Mai strömt ein Meer aus Blau in Gutau. Blaudruck-Praktizierende, Leinenweber, Kunsthandwerker und Indigo-Liebhaber aus ganz Europa treffen sich in der kleinen österreichischen Stadt zum jährlichen Internationalen Färbermarkt, auf dem Blaudruck-Kunsthandwerk, Schmuck und traditionelle Kostüme angeboten werden. Auf dem Programm stehen Führungen durch das Färbermuseum, eine Live-Modenschau und die Möglichkeit, mit Vertretern der rund 25 europäischen Blaudruck-Hersteller in Kontakt zu treten.

Blaudruck hat eine Reihe gebräuchlicher deutscher Ausdrücke inspiriert (Quelle: Yulia Denisyuk)

Außerhalb des Marktes bieten mehrere Experimentierwerkstätten den Besuchern die Möglichkeit, sich in der Blaudruckherstellung zu versuchen. Die Zeugfärberei in Gutau bietet regelmäßig Färbe- und Druckworkshops an, in denen Gäste mit Blaudruck-Designs, Siebdruck und Shibori, einer Batiktechnik aus Japan, experimentieren können. Eine der ältesten Werkstätten Europas, Einbecker Blaudruck, die seit 1638 in Niedersachsen besteht, bietet geführte Workshops an, in denen die Gäste mehr als 800 verschiedene Modellblöcke aus verschiedenen Epochen sehen können, darunter einige mit biblischen Motiven.

„Indigo ist wie eine Brücke zwischen verschiedenen Kulturen. Es ist schön und traditionell, aber auch global“, sagte Gexi Tostmann, deren Firma Tostmann für ihre Dirndl bekannt ist. „Früher war Blaudruck ein billiges Tuch, nur für das einfache Volk. Jetzt ist es teuer. Echtes handgefertigtes Blaudruck-Kleid kostet mehr als ein Seidenkleid.“

Aber vielleicht bringt es Koó am besten auf den Punkt. Er hängte ein frisch gefärbtes Tuch im intensivsten Tiefblauton zum Trocknen in den Hof seiner Werkstatt und sagte: „Wir sind kein Museum. Das ist ein lebendiges Handwerk.“

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